... zu deinen interessanten Ausführungen fallen mir sehr viele Fragen ein. Die Frage zu den unterschiedlichen Interpretationen eines PID-Reglers verkneife ich mir, das würde sicherlich zu weit führen. ... Aber vielleicht könntest du das angesprochene "anschauliche Beispiel" mal ganz kurz erläutern?
Ja, aber leider nicht so super-kurz und nur mit Worten - die theoretisch noch existierenden Fotos sind z.Z. nicht greifbar und wären auch nicht so wahnsinnig aussagekräftig.
Der Apparello war ein symmetrischer WaageBalken, an der Spitze eines Gestells drehbar um eine waagerechte Achse gelagert.
An den beiden Enden des Balkens befanden sich je ein GS-Motor mit je einem waagerecht angebrachtem Propeller (senkrechte Achsen bei wagerechtem Balken).
Die Motoren waren so ("anti-")parallel geschaltet, dass sie gegenläufig drehten - wenn der eine sein WaageBalkenEnde nach oben zog, drückte der andere seins nach unten und umgekehrt. Die Lage (der Winkel) des Balkens war der IstWert, der über ein Poti im Drehpunkt des Balkens "gemessen" und auf den PID-Regler geleitet wurde.
Der SollWert wurde über einen SteuerKnüppel vorgegeben. Wiederum verbunden mit einem Poti, dessen Signal zum PID-Regler geführt wurde.
Der PID-Regler war ein "StöpselKasten", an dem der I- und der D-Anteil "aktistöpselt" bzw. "deaktistöpselt" werden konnten. Gab es auch ein Poti zur Einstellung des P-Anteils? Vermutlich. Lässt sich erst klären, wenn die Fotos wieder auftauchen.
Ganz unten im Gestell befand sich der LeistungsVerstärker.
Auf das "Erlebnis" müssen wir hier leider verzichten. Stattdessen Kurzfassung in Worten.
P-Regler : na ja, der gute Wille war - sagen wir mal - erkennbar.
PI-Regler : das "Nachbessern" der RegelDifferenz war sehr gut sichtbar, aber das RegelVerhalten liess noch sehr zu wünschen übrig.
PD-Regler : Super! Wirklich super! Wenn man nicht so genau hingesehen hat, hat man das fehlende Nachbessern gar nicht vermisst.
PID-Regler : marginal besser als der PD-Regler.
StörGrössen konnten in Form von Gewichten an den WaageBalken gehängt werden. Dies war auch erforderlich, um zu demonstrieren, dass der PID-Regler tatsächlich noch mehr kann, als der PD-Regler.
Der SteuerKnüppel liess sich auch direkt an Verstärker anschliessen, also ohne dazwischen geschalteten Regler.
Kurzer Vorrede langer Sinn:
Heinileini war zutiefst beeindruckt - obwohl er bereits die Tietze-Schenk-Interpretation des PID-Reglers durchgearbeitet hatte.
Denn die anderweitigen, "üblichen" PID-Regler-Interpretationen hatten Heinileini bereits dahingehend geimpft, dass er sich vom D-Anteil eher wenig versprochen hatte.
Es wird immer vordringlich erklärt, dass durch den D-Anteil schnell auf eine Änderung des SollWertes reagiert wird.
Ist ja auch OK, aber nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte sieht so aus: was passiert, wenn sich bei konstantem Sollwert der Istwert schnell ändert?
Der oberflächliche Betrachter denkt "den Fall gibt es doch gar nicht, den darf ich getrost ignorieren".
Irrtum! Der SollWert kann sich kurz vorher geändert haben und ist jetzt zwar konstant, aber der Regler ist noch voll damit beschäftigt, die RegelDifferenz auszubügeln.
Und je heftiger er bemüht ist, desto früher muss er gegenlenken, sonst gibt es einen gewaltigen Überschwinger.
Kann ein Regler denn überhaupt vorausschauend erkennen, wann Gegenlenken angesagt ist?
Selbstverständlich, vorausgesetzt, man beraubt ihn nicht seines D-Anteils!!! Die ÄnderungsGeschwindigkeit der RegelDifferenz ist das Differenzial der RegelDifferenz.
Der Regler sieht nur die RegelDifferenz, sprich die Differenz zwischen Soll- und IstWert. Den Regler interessiert nicht, ob primär der Soll- oder der IstWert gerade für HandlungsBedarf sorgt. Er weiss auch nicht (und muss es auch gar nicht wissen), wenn er selbst gerade durch sein eigenes Handeln dafür gesorgt hat, dass jetzt ein anderer HandlungsBedarf - nämlich das Gegenlenken(!) - besteht.
Es ist sooo einfach - und PID-Regler schaffen das!
Wer ist immer noch der Meinung "den D-Anteil braucht man doch nur für schnelle Änderungen", "der D-Anteil ist nur in komplexen Fällen hilfreich" oder "das sind für mich Böhmische Dörfer mit sieben Siegeln"?
Was wir falsch machen können, ist, den PID-Regler unnötig, grundlos, irrtümlicher- und fälschlicherweise seiner Möglichkeiten zu berauben.
Nein, wir vereinfachen das Problem nicht, wenn wir den D-Anteil wegschmeissen - wir schaffen dadurch erst das Problem, das wir sonst gar nicht hätten!!!
Obwohl ich jetzt die eine halbe Wahrheit um die andere halbe Wahrheit ergänzt habe, sind wir noch weit von der "ganzheitlichen" Betrachtung entfernt.
Jetzt fehlt noch die Erkenntnis, dass durch den I-Anteil im unteren FrequenzBereich und durch den D-Anteil im oberen FrequenzBereich der "ArbeitsBereich" des P-Reglers so erweitert wird, dass im Endeffekt sogar die Verstärkung im ProportionalBereich vergrössert werden kann!
So, welche Fragen sind jetzt noch übriggeblieben?
Eigentlich möchte ich mich jetzt rausschleichen und euch das Feld überlassen ...
Gruss, Heinileini